Gewalt im Hundetraining - eine reine Auslegungssache?


Sehr oft taucht es bei Diskussionen rund um die Hundeerziehung auf - das so häufig benutzte Wort “Gewalt”.
Eigentlich mag Gewalt keiner so recht, manche lehnen sie komplett ab, andere wiederum halten sie dennoch für angemessen als "Mittel zum Zweck", z.B. bei "Resozialisierungsmaßnahmen" von verhaltensauffälligen Hunden, die sonst euthanasiert werden würden.
Aber im tiefsten Inneren möchte wohl kein Hundefreund seinem tierischen Gefährten Gewalt zufügen. Nun ja, abgesehen von wenigen Menschen, die es für ihr Ego brauchen, Lebewesen dominieren zu können, aber ich denke, das dürfte eher eine kleine Minderheit sein.

Es gibt mittlerweile viele Hundeschulen, die betonen, absolut gewaltfrei zu arbeiten, in meinen Augen ist eine 100% gewaltfreie Erziehung jedoch gar nicht möglich. Ich nenne es lieber sanftes Training, ein Training, das ohne bewusstes Strafen und ohne aversive Hilfsmittel auskommt.

Und genau da beginnt die Frage, was bedeutet überhaupt “Gewalt”?
Während manche keine Gewalt beim Strangulieren eines Hundes erkennen können, behaupten andere, dass bereits ein Verhaltensabbruch durch ein Abbruch-Signal Gewalt am Hund bedeutet.
Für viele Verfechter aversiver Trainingsmethoden ist ein Leinenruck nichts Schlimmes, “es tue dem Hund ja nicht einmal weh”, bekommt man da als Erklärung, es “diene nur der Aufmerksamkeitsteilung”.
Aber es gibt auch noch extremere Aussagen, gerade gestern bekam ich eine zynische Antwort, sinngemäß, wenn Hunde nicht mit Eisenstangen geprügelt würden und demnach sich keine Hundeleichen-Berge antürmen würden, wäre aversives Training à la Cesar Millan nicht weiter schlimm. Treten, Würgen oder das Zufügen von psychischem Druck wäre also völlig in Ordnung als Erziehungsmaßnahme bei verhaltensauffälligen Hunden. Hunde gingen schließlich untereinander auch recht grob miteinander um. Als echter Rudelführer müsse man seine Position eben durchsetzen und sein Rudel dominieren, wie es auch ein Alphatier tun würde.

Gerade wenn man sich an Diskussionen zum Thema “aversive Trainingsmethoden”, wie sie bekannte Hundetrainer im Fernsehen einem Millionenpublikum zeigen, beteiligt, bekommt man oft ein “ich sehe da keine Gewalt”, “das ist doch kein Tritt, sondern nur ein Stups” oder ein “manche Hunde brauchen eben eine starke Hand” zu lesen. Dem Hund Schmerzen zuzufügen scheint als Korrektur auch als harmlos, vor allem wenn der Schmerz für den Hund nicht mit dem Hundebesitzer verknüpft wird.
Selbst die Verwendung eines eShock-Halsbandes wird von einigen Hundefreunden verharmlost, denn es “vibriert” ja nur (wie ein Handy) und tut nicht weh. Der Hund wird so lediglich aus seinem Verhalten “geholt” und hat keine Ahnung, dass es sein treues Frauchen/Herrchen ist, das ihm diesen Schreck gepaart mit einem Schmerz zugefügt hat (m.M.n. würde ein minimales Vibrieren einen jagdlich motivierten Hund nicht von seiner Leidenschaft abhalten). “Schreckreize aus dem All” nannte es einmal eine Dame, die das Wassergespritze eines deutschen Hundetrainers als prima Hilfsmittel im Hundetraining verteidigte. “Das ist doch keine Gewalt, ihr Wattebauscher/Leckerlistopfer übertreibt aber auch immer!” Man müsse nicht immer alles nur schwarz oder weiß sehen.

Ist das so? Ist der Begriff “Gewalt” reine Ansichtssache oder gar Geschmackssache? Oder ist “Gewalt” doch tatsächlich klar definiert und kann nicht nach Gutdünken ausgelegt werden, wie es einem gerade ins Konzept passt? Gibt es bei Gewalt tatsächlich auch helle Grautöne?

Das Netz gibt einiges dazu her.
Die Website “http://www.violencestudy.org”, die über Gewalt an Kindern schreibt, veröffentlicht dazu: “Der Begriff Gewalt bedeutet Etwas mit Zwang vor allem psychisch und physisch durchzusetzen. Dabei gibt es zwei Parteien. Zum einen den Täter, der die Gewalt ausübt und auf der anderen Seite das Opfer.
In der Rechtsprechung wird Gewalt definiert als körperlich wirkender Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch sonstige physische Einwirkung, die nach ihrer Intensität dazu geeignet ist, die freie Willensentschließung oder Willensbetätigung eines anderen zu beeinträchtigen. (BGH NJW 1995, 2643).”
Okay, demnach ist alles, was mein Gegenüber nicht mag oder will, ich ihm aber trotzdem antue, Gewalt, egal ob ein körperlicher Angriff oder eine psychische Bestrafung wie z.B. Sozialentzug.
Auch die Website der 'Bundeszentrale für politische Bildung' (BfpB) hat etwas dazu geschrieben: “Allgemein: Gewalt bezeichnet den Einsatz von physischem oder psychischem Zwang gegenüber Menschen sowie die physische Einwirkung auf Tiere oder Sachen.
Soziologisch: Gewalt bedeutet den Einsatz physischer oder psychischer Mittel, um einer anderen Person gegen ihren Willen a) Schaden zuzufügen, b) sie dem eigenen Willen zu unterwerfen (sie zu beherrschen) oder c) der solchermaßen ausgeübten Gewalt durch Gegen-Gewalt zu begegnen.”
Ich fasse also zusammen: Gewalt kann physischer, aber auch psychischer Natur sein. Bei Tieren spricht man nur bei physischer Einwirkung von Gewalt, da ein Tier laut Rechtsprechung immer noch nur eine “Sache” ist.
Wir Hundefreunde wissen aber doch alle, dass ein Hund ein Lebewesen ist und keine Sache und er ähnliche Emotionen spürt wie wir Menschen. Ein Hund kennt z.B. Trauer, Schmerz, Angst, Furcht, Frust, Aggression, Freude, Hoffnung und Erleichterung. Und daher ist eine jede Handlung, die dem fühlenden Lebewesen widerstrebt, also eine Gewalteinwirkung.

Nun müssen wir uns nur noch fragen, was unseren Hunden tatsächlich widerstrebt, was sie beeinträchtigt und was sie ablehnen würden, wenn sie es könnten.
Dabei möchte ich aber auch den Sicherheitsaspekt beachten, denn manchmal ist es eben notwendig, dem Hund eine Leine anzulegen, bevor er vor ein Auto läuft oder weil ein Gesetz es so vorschreibt, z.B. ein Leinenzwang in Wohn- oder Waldgebieten.

Würde ich einen Menschen an Fesseln legen und ihn so ausführen, wäre es eindeutiger, als wenn man ein Tier mit einer Leine an sich bindet. Es kommt sicherlich auch darauf an, wie ein Hund an der Leine geführt wird, ob die Halsung schmerzt, die Leine zu kurz ist, um etwas am Wegrand schnuppern zu können oder die Schrittgeschwindigkeit für den Hund unangenehm ist. Die meisten werden aber zustimmen und sagen, dass es eben Situationen gibt, wo eine Leine einfach zwingend notwendig ist und daher unumgänglich ist. Ähnlich sehe ich das mit Maulkörben, Sicherheitsvorrichtungen im Auto oder bei jagdlich motivierten Hunden, die entweder zur Gefahr von Wild werden oder sich selbst in Gefahr eines Schusses bringen könnten.
Safety first. Gilt für uns Menschen ja genauso, nur können wir uns oft aussuchen, wie wir uns schützen möchten und wir wissen auch, dass es ein Schutz ist. Aber ein solcher Schutz gehört nun einmal auch zu unserer Fürsorgepflicht dem Hund und der Umwelt gegenüber.

Was aber nun das Hundetraining betrifft bin ich da weniger großzügig in der Auslegung, ob eine Gewalteinwirkung gerechtfertigt ist, vor allem, wenn jemand bewusst und mit voller Absicht einem Hund Schmerz oder Druck zufügt, nur weil er schnell und einfach zum gesetzten Ziel kommen möchte.
Dass es für jedes unerwünschte hündische Verhalten einen sanften Weg zum Ziel gibt, streiten viele aversiv trainierende Hundefreunde gern ab, das mag vielleicht daran liegen, dass sie sich noch nicht wirklich mit der positiven Verstärkung befasst haben.
Das Gerücht, die positive Verstärkung bedeutet ein Locken, Bestechen und Vollstopfen mit Leckerlis hält sich in solchen Kreisen ja standhaft und dass so etwas nicht ernsthaft helfen wird, einem z.B. unsozialen Hund seine Artgenossen weniger schrecklich erscheinen zu lassen, kann ich sogar nachvollziehen. Aber nur weil man etwas nicht kennt oder nicht richtig verstanden hat, heißt das nicht, dass es nicht wunderbar funktionieren kann. Man muss sich einfach die Mühe machen, es verstehen zu wollen und bereit sein, sich damit auseinander zu setzen.

Und natürlich arbeitet nicht jede Hundeschule, die mit "gewaltfrei" auf der Website wirbt, auch tatsächlich gewaltfrei. Es klingt halt einfach gut, dieses "wir arbeiten gewaltfrei", gemeint ist damit wohl mehr ein Training ohne aversive Hilfsmittel wie Stachler, eShock oder Würger und natürlich auch ohne Treten, Strangulieren oder Bedrohen, wobei das Bedrohen oder Bedrängen schon wieder eine Grauzone ist, denn psychische Gewalt wird oft nicht als eine solche angesehen.
Es arbeiten wohl auch nur wenige Trainer komplett ohne Strafen, denn schon das Vorenthalten einer erwarteten Belohnung kann sich bestrafend und negativ auf das Lernverhalten auswirken.
Manchmal handelt man aber, ohne großartig über die Konsequenzen nachgedacht zu haben und tut unbewusst etwas, was man eigentlich sonst immer vermeiden wollte, das passiert mir ja auch.
Wir Menschen sind eben auch keine Roboter und da, wo Emotionen mit im Spiel sind, können immer ungewollt und unbewusst Fehler und Ungerechtigkeiten entstehen.
Einem Lebewesen aber vorsätzlich und mit vollem Bewusstsein Gewalt, egal ob physisch oder psychisch, zuzufügen - das ist schlichtweg falsch, dumm und ganz nebenbei ethisch ein Nogo.

Anke M. Hofer
25.10.2015



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